Sean Penn spielt in "This must be the place" einen depressiven Rockstar. Begleitet von guter Musik und surreal-schönen Landschaftsbildern kehrt er ins Leben zurück.
Cheyennes Gesicht ist eine Landschaft, in der es immer gleich zu regnen droht. Hinter schwarzem Kajal, weißem Make-Up und rotem Lippenstift liegt das faltige Gesicht eines Mannes um die 50. Einst hat ihn die Kunst, seine Melancholie in Songs zu verpacken, reich gemacht, jetzt wird er sie partout nicht mehr los. Dabei könnte Cheyenne (Sean Penn) glücklich sein: Er hat mit Jane (Frances McDormand) eine zupackende Ehefrau, die ihn auch nach 30 Ehejahren noch begehrt, eine Villa voll Kunst und Designklassiker in Dublin, ein paar gute, wenn auch etwas merkwürdige Freunde, junge Fans und ausreichend Geld.
Aber der Alltag nagt an Cheyenne, nichts macht ihm so recht Freude. Nicht die im abgelassenen Pool ausgetragenen Pelota-Matches mit Jane, nicht die Kaffeeverabredungen mit der 16-jährigen Mary, nicht der Aktienhandel, Cheyennes einzige Erwachsenenbeschäftigung, die genau betrachtet natürlich auch ein Spiel ist.
"Und wie läuft ihr Leben so?", fragt ihn eine ältere Dame in der Lobby seiner Hausbank.
"Mein Leben läuft", lange Pause, "ganz okay".
Um seine Umwelt mit schlechter Laune zu terrorisieren ist der Alt-Goth ein zu müder und zu netter Kerl. Nur gelegentlich, wenn sich sogenannte normale Menschen hinter vorgehaltener Hand über den geschminkten Mann in schwarzer Kluft lustig machen, revanchiert Chayenne sich mit kleinen, urkomischen Bosheiten wie einer aufgestochenen Milchpackung im Einkaufswagen
Doch dann ein Anruf aus New York: Cheyennes Vater liegt im Sterben und will den verlorenen Sohn sehen. Obwohl er mit seinem Vater seit 30 Jahren kein Wort mehr gewechselt hat, macht sich Cheyenne, den Rollkoffer in der Hand, auf den Weg.
Damit beginnt gewissermaßen der Hauptfilm von Cheyenne – This must be the place , dem ersten englischsprachigen und außerhalb von Italien gedrehten Werk von Regisseur Paolo Sorrentino. Denn jetzt muss sich der Zuschauer, der sich vorher noch in Janes Späße und Marys Teenie-Traurigkeit flüchten konnte vor dem hölzernen, lakonischen Chayenne und seinem Regen-Blick, auf diesen Anti-Helden einlassen.
Ein Oscar-Preisträger als krähenartige Gestalt
Wie schon vor drei Jahren Il Divo , das bildermächtige Filmportrait des siebenmaligen italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti , sorgte auch This must be the place in Cannes für Aufsehen. Mit dem Jurypreis ausgezeichnet wurde diesmal allerdings Terrence Malick und nicht Sorrentino – vielleicht weil es doch weniger zwingend ist, sich die Geschichte eines von seiner Vergangenheit geplagten Ex-Musikers im Kino anzusehen, als die eines italienischen Ex-Präsidenten mit Mafia-Beziehungen.
Dabei ist das Thema von This must be the place , genau wie jenes von Il Divo , die Annäherung an einen rätselhaften Menschen. Robert Smith, Sänger der New Wave Band The Cure, war Sorrentinos Vorbild für die Figur des Cheyenne. Ein Mann, der hinter der Fassade eines Mittzwanzigers gealtert ist und sich an die Bühne hält, weil das Leben abseits davon keine großen Erfolge verspricht.
Zelebriert wird diese Annäherung in Aufnahmen und Kamerafahrten, die so ungewöhnlich, so nah, so farbintensiv und dann wieder so weit sind, dass eine Kinoleinwand zwingend erforderlich ist, um
This must be the place zu sehen. Nach seiner Abfahrt in
Irland verwandelt sich Cheyennes Geschichte in einen Roadtrip, der ihn von New York (wo ihn die jüdischen Verwandten mit gespreizten Fingern empfangen und der Vater schon gestorben ist) in die Weiten des amerikanischen Hinterlands führt, von
Michigan nach New Mexico. In leuchtenden, endlosen Landschaften sucht Cheyenne jenen Nazi-Aufseher, der seinen Vater einst im Konzentrationslager gedemütigt hat.
Der Plot wird unterwegs immer absurder, die Musik immer besser. Denn der Filmtitel ist dem gleichnamigen Song der Talking Heads entlehnt, deren Kopf David Byrne auch den Rest des Soundtracks komponiert hat. Im Film gibt Byrne mit seiner Band ein hinreißendes Konzert in einem kleinen New Yorker Club, dem Sorrentino in seiner typischen Uneiligkeit mehrere Minuten einräumt.
This must be the place ist die Reise eines Heimkehrers durch die USA, aber noch mehr eine Reise durch die Pluralität der Lebensstile. Der Mann mit dem Tattoo-Studio, die alten Damen in der Kirche, die alleinerziehende Kellnerin, das Goth-Mädchen mit zerrissenen Strumpfhosen und dunkel geschminkten Augen, Cheyenne selbst: Sorrentino stellt vermeintliche Randfiguren in den Mittelpunkt seines Films. Hinterher weiß man nicht mehr genau, ob man selbst noch in der Mitte sein möchte, wenn es am Rand doch so viel komischer ist. Wenn Cheyenne zwischen vier Louis-Vuitton-Taschen-Trägerinnen im Aufzug eines Luxuskreuzers steht und sich, so energisch es seine fiepsende Stimme zulässt, in das Gespräch über Lippenstift einschaltet, möchte man dazu applaudieren, dass er – und keine der vier Schönen–, der Protagonist ist.
Einen besseren als Sean Penn hätte Sorrentino auch nicht finden können, um einem großen Publikum diese merkwürdige Figur zu verkaufen. Man kann es in der ersten Hälfte des Films nicht fassen, dass hinter der krähenartigen Gestalt der zweifache Oscar-Preisträger steckt, Szene für Szene dahinschlurft und sich als höchste Gefühlsregung, nur wenn ihm etwas wirklich gegen den Strich geht, das toupierte Haar aus dem Gesicht pustet.
Dafür, dass man diesen Kauz am Ende des Film irgendwie gern hat, belohnt Sorrentino den Zuschauer dann auch mit einer Minute reinen Sean Penns. Zurückgekehrt von seiner Reise und einer Menge Ballast entledigt, steht er in Dublin auf der Straße und lächelt. Der Regen hat sich aus seinem Gesicht verzogen.